Habent sua fata libelli

Das Literaturhaus plant eine neue Reihe (20.2.2018)

In alten Zeiten, als das Wünschen noch geholfen hat, plante das Literaturhaus einmal eine neue Veranstaltungsreihe: Die Vorstellung kleiner und kleinster, vergessener, verschollener und sogar nichtexistenter Verlage.

Aus nahe liegenden Gründen wollte man mit den nichtexistenten beginnen.
(Ja, die Nichtexistenz, unbegreiflich, doch dauernd vorhanden, durchzieht sie unser aller Dasein!)

Unter den Kandidaten mit Nichtexistenz trat einer etwas deutlicher aus dem Nebel des Nichtseins hervor, und mit ihm wollte man den Anfang wagen: Der notorisch nichtexistente Forkelhirsch Verlag.

Das Projekt kam nie zustande.

Halt! wird mancher rufen, alle Jubeljahre schließt doch jemand, niemand weiß wer (sollte es womöglich der Verleger sein?), eine Stromquelle an die Beine dieses toten Verlagsfrosches an – und siehe da, sie zucken! Ja, das gebe ich zu.

Und noch etwas. Es muss ja doch heraus, deswegen sage ich es: Ich, Wolf Schröder, bin der der CEO, der uneingeschränkte Herrscher über die Forkelhirsch-Gruppe.

Bleibt die Frage: Warum? Wozu? Weshalb um alles in der Welt? Warum es nicht bei der schönen Nichtexistenz belassen?
Ich bin der letzte, der diese Frage beantworten kann.

Vielleicht habe ich zu lange keine Buchläden aufgesucht, mich zu lange nicht mehr überwältigen lassen vom ungeheuren Hochplateau des Neuerscheinungstisches. So glatt und eben und tragfähig liegt er da – aber wehe dem, der diesen Tafelberg betritt. Treibsand! Treibsand! Und bei fast jedem Blick in einen neuen Roman packt es einen und zieht einen nach unten – in einen Malstrom aus Verzweiflung und Langeweile.

Ja, das musste ich vergessen haben, als ich meinem Doppelgänger nachgab – früher hieß er sogar wie ich, bis ich ihm riet, sich aus Unterscheidungsgründen einen zweiten Vornamen zuzulegen – oh, wie jammerte er, wie zierte er sich!
Aber ich bin der Verleger, er nur ein hergelaufener Autor:
Lege dir einen zweiten Vornamen zu, rief ich, oder ich verlege dich nicht! Ich will es so!

Er sträubte sich.

Ich schlug, um die Schroffheit des Namens etwas zu dämpfen und sich so bei potentiellen Leserinnen einzuschmeicheln, die erfahrungsgemäß über Wohl und Wehe eines Romans entscheiden, den sanften Namen Christian vor – so mochte jemand heißen, der auch die andere Wange hinhält. Das, so befand ich, sei ein Korrektiv zum animalischen, klanglich geradezu bellenden Wolf.

Schließlich knickte er ein. Ich sehe sein greinendes Gesicht noch vor mir, es war an einem Regenvormittag, ein dünner Kaffe stand vor ihm, das Haar ging ihm aus, ich dagegen trank alten Armagnac. Schröder, rief ich, sobald er in der heiklen Namenssache nachgegeben hatte, (ich ließ den Armagnac im Schwenker kreisen), du bist wie alle Autoren: Nichts habt ihr im Sinn als verlegt zu werden!

Plötzlich wehte mich Melancholie an.
(Melancholie und absoluter Leichtsinn! Wie oft kommt diese Verbindung doch im Verlagsgeschäft vor!) Schröder! Schröder! rief ich ihm zu: Hast du denn noch nicht genug? Sollen wir es nicht endlich lassen? Denk an deinen Vorgänger, den unglücklichen Gustav Wegener, mit seinem verwegenen, ja geradezu hanebüchenen „Harthaus“-Projekt!

Ich ließ den Armagnac kreisen und nahm einen köstlichen Schluck.

Bedenke sein Schicksal!
Sollen wir beide nicht lieber Hand in Hand dem Sonnenuntergang entgegengehen? Namenlos und glücklich?

Wer beschreibt mein Erstaunen, als er davon nichts wissen wollte.
Und das Geld? fragte ich. Mein gutes Geld zum Fenster hinausgeworfen? Und wofür? Nur allzu leicht wird man zu der Kinder Gespött!

Was ginge ihn mein gutes Geld an! entgegnete er und verachtete mich. Er brauche den Ruhm wie die Luft zum Leben.

Wir verstehen einander nicht. Wir scheinen verschiedenen Generationen anzugehören. Aber wie kann das sein?
Wir haben doch als Kinder zusammen das Buch „Troll, der Mordhirsch“ gelesen. Troll, der Forkelhirsch, und wie es ihm erging. Weißt du noch? Wurde er nicht am Ende als Forstschädling von einem Hilfsförster erschossen?

Scherz beiseite. Aber das ist leichter gesagt als getan!
Ich will es trotzdem versuchen: Der Roman, aus dem ich lesen werde, handelt vom Abstieg der Mittelklasse und ihrer Angst davor; vom ewigen Praktikantentum und wie es den, der es erleidet, auf seltsame Weise verändert.
Schau an, das klingt schon ernster. Na also, es geht doch!

Bevor ich nun loslege, möchte ich an eine Stelle in Becketts „Molloy“ erinnern. Dort gibt jemand Molloy, dem Ich-Erzähler, Papier und Bleistift mit dem Auftrag, etwas aufzuschreiben. Als der Mann das Geschriebene abholt, ist er unzufrieden. Er sagt, Molloy habe anders beginnen müssen. Dazu Molloy, Zitat: „Ich hatte beim Anfang angefangen, stellen Sie sich das vor, wie ein altes Rindvieh.“ Zitat Ende.

So viel zu Anfängen.